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Georg Winter

Georg Winter

Chemische Biologie der onkogenen Genregulation

Forschungsschwerpunkt

Georg Winters wissenschaftliches Interesse gilt der Frage, welche neuen Möglichkeiten sich eröffnen, wenn man biologische Prozesse durch die Linse niedermolekularer Substanzen betrachtet. Solche Moleküle sind nicht nur eine universelle Sprache biologischer Kommunikation – von der Quorum-Signalisierung in Bakterien bis zur Neurotransmission im Menschen – sie bilden auch die Grundlage von rund 80 % aller zugelassenen Medikamente. Eine zentrale Limitation liegt jedoch in ihrer vermeintlich eingeschränkten Einsetzbarkeit innerhalb des menschlichen Proteoms: Nur etwa 20 % aller menschlichen Proteine gelten derzeit als mit kleinen Molekülen adressierbar – viele der interessantesten therapeutischen Zielstrukturen gelten daher als „undruggable“.

In den vergangenen zehn Jahren hat sich Georg Winters Forschungsgruppe dieser Dogmatik widersetzt und neue Strategien zur Gestaltung kleiner Moleküle entwickelt – im Zusammenspiel von synthetischer Chemie und biologischem Hochdurchsatz-Screening. Inspiriert von Naturstoffen wie den Phytohormonen Auxin und Abscisinsäure untersucht die Gruppe kleine Moleküle, die durch induzierte Nähe („proximity induction“) die Funktion von Zielproteinen verändern – sei es durch Inhibition oder gezielte Degradation. Dieses Prinzip, bei dem ein Effektor durch das Molekül an ein Zielprotein gebunden wird, findet sich in vielen evolutionär entstandenen Signalwegen, wurde jedoch bisher kaum zur Entwicklung neuer Medikamente genutzt.

Die zentrale These der Gruppe lautet: Wer molekulare Nähe kontrolliert, kann biologische Systeme steuern. Aufbauend auf diesem Prinzip entwickelt die Gruppe neue Strategien, um über konventionelle Inhibitoren hinauszugehen und biologische Prozesse jenseits evolutionärer Einschränkungen programmierbar zu machen. Ein besonderer Fokus liegt auf der zielgerichteten Protein-Destruktion (Targeted Protein Degradation, TPD) durch Reprogrammierung des Ubiquitin-Proteasom-Systems mittels kleiner Moleküle – sogenannte „Degrader“.

Targeted Protein Degradation (TPD): Analyse und chemische Reprogrammierung von E3-Ligasen

Die TPD-Forschung der Gruppe beruht auf kleinen Molekülen, die eine E3-Ubiquitin-Ligase in räumliche Nähe zu einem Zielprotein bringen. Dies führt zur Ubiquitinierung und anschließend zur Proteindegradation. 2015 stellte die Winter-Gruppe mit der Entwicklung heterobifunktioneller Degrader („PROTACs“) einen ersten chemischen Ansatz zur in vivo-Protein-Destruktion vor (Winter, Buckley, Science 2015). Dieses Konzept, das auf die Rekrutierung der E3-Ligase CRBN basiert, trug maßgeblich zur Etablierung des TPD-Feldes bei.

PROTACs sind jedoch auf gut bindbare Zielstrukturen angewiesen, was die Anwendung auf schwer adressierbare Proteine – etwa Transkriptionsfaktoren – einschränkt. Um diese Limitation zu überwinden, konzentriert sich die Gruppe zunehmend auf eine andere Klasse von Degradern: sogenannte Molecular Glue Degrader (MGDs). Diese Moleküle binden an eine E3-Ligase und verändern deren Oberflächenstruktur so, dass neue Zielproteine rekrutiert werden – etwa IKZF1 und IKZF3. Bemerkenswert ist, dass MGDs häufig keine direkte Affinität zum degradierten Zielprotein aufweisen, was sie besonders attraktiv für bisher „undruggable“ Proteine macht. Die Entdeckung neuer MGDs galt lange als zufällig – ein Umstand, den die Gruppe gezielt adressiert, etwa durch funktionelle Genomik und Proteomik. Zu den jüngsten Erfolgen zählen die Identifikation neuer Ligase-Zielkombinationen (Kagiou, Nat. Commun. 2024) sowie die Beschreibung intramolekularer, bivalenter Glue Degrader als neue Modalität in der TPD (Hsia, Hinterndorfer, Cowan, Nature 2024).

Neue Strategien zur Reprogrammierung von Krebs durch chemische Genetik und Chemoproteomik

Aufbauend auf der Expertise im TPD-Bereich weitet die Gruppe ihre Forschung zunehmend auf neue Systeme aus – über den Ubiquitin-Proteasom-Weg hinaus und jenseits reiner Loss-of-Function-Strategien. Gefördert durch einen ERC Consolidator Grant erforscht die Gruppe derzeit chemische Strategien zur Reprogrammierung der Transkriptionsregulation in Krebszellen sowie der zellulären Antwort auf DNA-Schäden. Dabei kommen zwei zentrale Technologien zum Einsatz: funktionelle Genomik und hochdurchsatzfähige Proteomik. Durch die Kombination von genomweiten CRISPR/Cas9-Screens mit flexiblen funktionellen Readouts und „deep mutational scanning“ kann die Gruppe Genom-weite Analysen mit aminosäurespezifischen Funktionsstudien verknüpfen. Ergänzend dazu werden chemoproteomische Datensätze erstellt und mithilfe künstlicher Intelligenz ausgewertet – etwa zur Vorhersage molekularer Interaktionen basierend allein auf chemischer Struktur (Offensperger, Tin, Duran-Frigola, Science 2024).

Biosketch

Georg Winter, PhD, promovierte am CeMM im Labor von Giulio Superti-Furga mit Arbeiten zur Wirkweise onkologischer Medikamente. Für seine Postdoc-Phase wechselte er an das Dana-Farber Cancer Institute/Harvard Medical School in das Labor von James Bradner, wo er die erste Studie zur in vivo-Protein-Destruktion mittels Degrader veröffentlichte (Science 2015). Im Juni 2016 wurde er als Principal Investigator ans CeMM berufen.

Seit 2025 ist Georg Winter Life Science Director des neu gegründeten Forschungsinstituts für biomedizinische KI AITHYRA. Inhaltlich bewegt sich seine Forschung an der Schnittstelle von chemischer Biologie, Krebsforschung und Genregulation. Seine Arbeit trug zur Gründung von C4 Therapeutics bei, zudem ist er Mitgründer der Biotech-Unternehmen Proxygen und Solgate Therapeutics.

Die Forschungsgruppe wird durch nationale und internationale Förderprogramme unterstützt, darunter zwei ERC Grants (Starting und Consolidator), ein Aspire Award der Mark Foundation sowie ein Cancer Grand Challenge Grant. Für seine Beiträge zur zielgerichteten Protein-Destruktion wurde Georg Winter vielfach ausgezeichnet – unter anderem mit dem Tetrahedron Young Investigator Award, dem Wilson S. Stone Memorial Award (MD Anderson), dem Eppendorf Award for Young European Investigators sowie dem Elisabeth Lutz Preis der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Top-5-Publikationen

  1. Offensperger F, Tin G, Duran-Frigola M, et al. Large-scale chemoproteomics expedites ligand discovery and predicts ligand behavior in cells. Science. 2024;384(6694):eadk5864. doi:10.1126/science.adk5864. (published paper)

  2. Hsia O, Hinterndorfer M, Cowan AD, et al. Targeted protein degradation via intramolecular bivalent glues. Nature. 2024;627(8002):204-211. doi:10.1038/s41586-024-07089-6. (published paper)

  3. Hanzl A, Casement R, Imrichova H, et al. Functional E3 ligase hotspots and resistance mechanisms to small-molecule degraders. Nat Chem Biol. 2023;19(3):323-333. doi:10.1038/s41589-022-01177-2. (published paper)

  4. Mayor-Ruiz C, Bauer S, Brand M, et al. Rational discovery of molecular glue degraders via scalable chemical profiling. Nat Chem Biol. 2020;16(11):1199-1207. doi:10.1038/s41589-020-0594-x. (published paper)

  5. Winter GE, Buckley DL, Paulk J, et al. DRUG DEVELOPMENT. Phthalimide conjugation as a strategy for in vivo target protein degradation. Science. 2015;348(6241):1376-81. doi:10.1126/science.aab1433. (published paper)

 

Eine vollständige Liste der Publikationen finden Sie im Google Scholar profile von Georg Winter.